Einführung

"The entrance to the soul is the eye"

Montag, 25. April 2011

(11) Wieso weinst du?

Emma träumt nicht nur. Sie sieht, hört riecht und fühlt. Ich wünschte ich wüsste mehr über ihre Gabe, damit ich ihr helfen kann. Sie wird blasser. Seit sie jede Nacht träumt, denkt sie noch mehr nach. Sie wird stiller und verschlossener. Und ich immer nervöser. Ich bete mehr. Dass Vater nichts bemerkt. Dass Mutter nicht zu oft mit ihr spricht. Über Träume. Denn sie ist noch gefährlicher als Vater. Sie ist wachsamer und intelligenter. Deshalb ist sie ja auch Managerin. Ich glaube es gab in der Sen noch nie eine so gute Organisatorin und Verwalterin. Die Sen ist in sicheren Händen. Ich verfluche Mutter. Vater und die Sen. Am liebsten würde ich einfach abhauen. Vater liegt sowieso nichts an mir, zum Glück. Doch Emma ist sein Augenstern und er sieht in ihr die Nachfolgerin von  Mutter. Ich liebe Emma und ich kenne die Geschichten von Elena. Ich lasse nicht zu dass Emma das gleiche passiert...

Emmas Traum:
"Bruderherz, dieser Traum war anders als die anderen. Du warst dabei. Eigentlich war er sehr kurz. Als du gestern mit mir über meine Träume gesprochen hast, da hab ich doch so getan als hätte ich Kopfschmerzen. Nun ja, ein bisschen gelogen hab ich schon, denn mein Kopf hat sich angefühlt als wäre er mit Watte gefüllt und ich konnte nicht mehr klar denken und dir zuhören. Ich weiß du hast nichts gemerkt, denn du hast dir zu viele Sorgen um meine Träume gemacht. Das ganze hat nur kurz gedauert. Langsam weiß ich wie das ganze abläuft, großer Bruder, es ist immer das Gleiche: Ich spreche mit jemandem, dann passiert für kurze Zeit etwas und wenn ich dann später schlafe, träume ich seltsame Sachen. Dieses Mal habe ich dich kurz weinen gehört. Ich wusste erst nicht dass du es warst, doch als ich dann schlief, bin ich in meinem eigenen Bett gelegen. Ich habe ein lautes Schluchzen gehört und wusste sofort dass es aus deinem Zimmer kam. Ich bin durch den Flur geschlichen und sah durch die Wohnzimmertür wie Mum und Dad mal wieder eine ihrer wichtigen Besprechungen hatten. Du weißt doch, wegen ihren Berufen oder so. Alles war so wie immer und doch ganz anders, denn als ich in deinem Zimmer war sah ich dich, Bruderherz. Es hat mir im Herz wehgetan als ich dich sah. Du sahst verzweifelt aus und du hast geweint. Ich habe dich noch nie weinen gesehen. Und ich habe laut gefragt: "Wieso weinst du?" Doch du gabst keine Antwort.

Dienstag, 4. Januar 2011

(10) Wieder das Mädchen und der Junge

13.3.2001

Emmas Gabe (Fluch) ist stärker als ich gedacht hatte. Ihr Verstand geht der Sache schon auf den Grund. Sie hat wieder von "dem Jungen und dem Mädchen" geträumt, wie sie es gesagt hat. Und wieder bekam sie Aussetzer als sie mit Eddie Kontakt hatte. Ich hoffe nur er merkt nichts. Und sie auch nicht. Sie ist zwar heute Neun geworden, aber ich halte es immer nocht nicht für klug, ihr alles zu erklären. Sie sagt, sie hat die gleiche Szene geträumt. Nur länger und detaillierter. Es macht ihr Angst. Und langsam macht ihr Onkel Eddie auch Angst. Obwohl sie ihn liebt. Er liebt sie auch. Aber auf andere Weise das weiß ich. Und wenn er erfährt, dass Emma Elenas Gabe hat, dann wird er sie mir wegnehmen. Wahrscheinlich seh ich sie dann nie wieder. Und sie wird daran zerbrechen. Wie Elena. Aber ich male jetzt nicht den Teufel an die Wand. Von alleine wird sie das Ganze nicht verstehen können. Glaube ich. Hoffe ich.


Emmas Traum am 13.3.2001 (Mein Geburtstag)
Als ich mit Eddie Mensch-Ärger-Dich-Nicht spielte passierte es schon wieder. Ich sah sein Gesicht nicht mehr, sondern das Gesicht des Jungen, der so aussieht wie er. Ich hörte das Mädchen. Es sprach komisch und ich hörte die Stimme des Jungen, wie er lacht und dann immer ungeduldiger mit jemand redet. Das alles dauerte nur eine Sekunde oder zwei und ich konnte Eddie nicht mehr sehen. Ich tat so als wäre ich müde und ging ins Bett. Eddie kam mit und wünschte mir eine Gute Nacht und küsste mich auf die Stirn. Als er das tat, fühlte es sich an als explodiere mein Kopf und ich fiel in einen unruhigen Schlaf. Ich hörte noch wie Eddie etwas sagte und ich dachte, schon wieder den Namen Elena zu hören. Der Name macht mir langsam echt Angst, großer Bruder! Ich träumte, ich wäre wieder in diesem Zimmer und der Junge lief gerade in das benachbarte Zimmer. Ich wusste gleich, würde er mit zwei Gläsern wieder kommen und das Mädchen würde trinken und umfallen. Ganz automatisch lief ich im nach und sah wie er mit Schweiß auf der Stirn etwas in das Glas des Mädchens warf. Etwas kleines Rundes. Ich wusste das das nicht gut war und rannte in das andere Zimmer zu dem Mädchen und wollte sie warnen. Aber sie hörte mich natürlich nicht und schrieb gerade mit ihrem Handy eine SMS. Ich las so etwas wie: "Er ist soooo süß, Debbie! Vielleicht läuft heute abend ja noch mehr als Küssen ;) Spaaß!" Dann klickte sie schnell auf SENDEN, denn der Junge kam herein. Dieses Mal sah ich ihn von vorne und sein Lächeln war charmant und ich fand ihn doch nicht mehr so gefährlich. Doch als das Mädchen wieder umfiel, wusste ich es besser. Sie lag da und fing an zu sabbern, während der Junge sie auf einen Stuhl hievte. Dann kniete er sich vor sie und fing an auf sie einzureden. Sie lächtelte in an und ich konnte die beiden nicht verstehen, denn ich spürte das mich jemand aufwecken wollte. Doch kurz bevor ich aufwachte, hörte ich den Jungen pötzlich schreien: "Verdammt, antworte mir, Lisa! TRÄUMST DU? Scheiße, sag mir ob du träumst!" Der Junge macht mir wirklich Angst, großer Bruder, ich will nicht mehr von ihm träumen!

(9) Der zweite Traum

Ich mache mir immer mehr Sorgen um meine kleine Schwester. Ich hatte den irrwitzigen Gedanken gehabt, dieser erste Traum könnte ein Spezialfall sein. Ich wusste es selber besser im Endeffekt. Dies war nur der Anfang gewesen. Der Anfang einer ganzen Serie von Träumen, die Emma erleben wird. Und ich muss alles daran setzen, Mum und Dad, sowie ganz besonders Onkel Eddie nichts davon erfahren zu lassen. Ich hab Emma zwar schon ausdrücklich davor gewarnt, aber sie ist acht, bald neun und wer weiß wie lang sie sich an ihr Versprechen, nur mir zu erzählen was sie träumt, hält. Außerdem bereitet es mir Sorgen, dass sie nicht nur nachts träumt. Sie hat, sobald sie den Kontakt mit den Personen hat, kleine Aussetzer. Kann ich mir noch nicht erklären. Ich sollte die nächste Sen-Hour vielleicht doch nicht entgehen lassen. Vielleicht hat sich Dad etwas Neues einfallen lassen und ich weiß es nicht. Auch wenn es mir schwer fällt, dorthin zu gehen, für Emma mach ich alles....


Emmas zweiter Traum: 3 Wochen nach dem Ersten.


Bruderherz, ich muss dir was gestehen. Ich habe in der Stadt, einer Obdachlosen etwas Geld gegeben und hab mit ihr geredet. Ich weiß das ist mir nicht erlaubt und sie ist noch eine Fremde, aber ich weiß das sie mir nichts tut. Und du glaubst mir doch immer wenn ich etwas ganz fest weiß! Also hab ich mich mit ihr unterhalten und sie war sehr nett. Ich habe sie gefragt wieso sie jetzt schon auf der Straße ist, sie ist doch erst dreißig oder so. Dann hat sie komisch gelacht und gesagt sie sei in "Frührente". Ich wusste nicht genau was das ist. Ich hab gesagt, mein Opa ist auch in Rente. Da hat sie gelacht und gesagt ich darf sie Oma nennen. Ihr echter Name ist Anna Laurent und ich nenn sie ab jetzt Oma Anna. Gerade als ich mich verabschieden wollte flitzen wieder Bilder an mir vorbei. Ihr Gesicht veränderte sich für ein paar Sekunden: Ihre Augen strahlten mehr, ihr Gesichtsausdruck war sehr ernst, wie als würde sie beten und sie hatte volleres Haar. Sie sah jung aus. Noch jünger als jetzt eben. Ich hörte einen Chor, der etwas betete und sie betete mit. So schnell wie es gekommen war, war es wieder weg, doch Oma Anna hatte etwas bemerkt. Sie fasste mich an der Schulter und kniff die Augen zusammen. Ich bekam Angst und riss mich los. Sie schrie mir etwas hinterher. Ich hörte es aber nicht mehr. Danach tat es mir Leid. Ich weiß nämlich, dass sie mich nicht bedrohen wollte. Ihr war nur etwas aufgefallen. Abends träumte ich dann wieder einen sehr komischen Traum. Ich schlief ein und kurz danach sah ich ein wutverzerrtes Gesicht. Es war Oma Anna. Sie schrie mir etwas hinterher. Ich rannte weg. Doch dieses Mal verstand ich es genau: " Bist du es, Elena?"
Ich verstand das nicht und wachte auf. Kurz danach schlief ich nochmal ein und dieses Mal sah ich ein Mädchen zwischen lauter Jungen stehen. Manche waren älter, manche jünger. Niemand aber war älter als Onkel Eddie oder so jung wie ich. Vielleicht gerade so wie du, Bruderherz! Sie waren alle in ganz komischer Kleidung gekleidet und standen in Reihen in einem großen Raum. Das Licht war sehr dunkel und deshalb erkannte ich nicht mehr. Ich kam mir vor wie ein Pfarrer vor der Gemeinde, aber es kann keine Kirche gewesen sein. Auffällig war, dass nur ein einziges Mädchen da war. Sie hatte Ähnlichkeit mit Oma Anna. Sie standen alle gerade da und murmelten einen langen Satz herunter. Ich hab ihn nicht mehr hören können, denn plötzlich knallte es und jemand schrie: "Sie ist tot, verdammt, sie ist tot!" Dann war alles Durcheinander und ich bin aufgewacht. Was hat das zu bedeuten, Bruderherz?


Diese Frage konnte ich ihr nicht beantworten, obwohl ich es genau wusste. Und ob es ein Zufall gewesen war, dass sie Anna Laurent getroffen hatte? Anna war schon immer etwas Besonderes gewesen. Aber sie war eine von ihnen und deshalb gefährlich. Und das sie in Emma Elena erkannt hatte, machte mir von allem die meisten Sorgen. Doch ich wusste: Emma würde sie wiedersehen, egal ob ich es ihr untersagte oder nicht. Ich kann nichts tun.

(8) Der erste Traum

Nach der E-Mail bestand mein Leben eine Weile nur noch aus Essen, aufs Klo gehn, Tagebuch und Träume lesen. Wenn ich in Emmas Einträgen etwas von Visionen oder Träumen las, legte ich das Tagebuch weg und durchforstete die Datei: Emmas Träume nach dem besagten Traum. Ich fand immer den passenden. Emmas Bruder wusste wohl wirklich um alle Träume Emmas und ich danke Gott, dass er sie aufgeschrieben hatte.

27.12.2000
Gestern Nacht ist es passiert. Ich hatte so für Emma gehofft, sie hätte diese Gabe nicht erhalten, wenn man von einer Gabe sprechen kann, für mich ist es eher ein Fluch. Doch vergebens. Ich lag wach und hatte noch Vaters Worte vom letzten Gespräch mit ihm in den Ohren, da hörte ich es. Einen Schrei. Durch pure Reflexe gesteuert rannte ich in Emmas Zimmer ohne einen einzigen Laut. Das Zimmer hatte ich aus Vorsicht heimlich abdichten lassen, so dass nur das Nebenzimmer sie schreien hören konnte. Also ich. Für den Fall der Fälle. Und jetzt war der Fall eingetreten. Etwas in mir zerbrach als ich sie da halb aufgerichtet und schwer atmend im Bett liegen sah. Ihre Augen sahen nicht aus wie sonst. Sie waren ausgefüllt von weiß und die Pupillen waren höchstens noch auf einem Zentimeter Abstand zu erkennen. Der Mund war weit aufgerissen und sie keuchte wie nach einem hundert-Meter Lauf. Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Sie war doch erst acht! Lass es nur einen Alptraum gewesen sein! Bitte lass es nur.... Doch ein Blick auf Emmas Gestalt in der Dunkelheit genügte, um mir alle Hoffnungen auszutreiben. Ich wusste das es eingetroffen war. Und wenn ich etwas weiß, dann kann es nicht anders sein. War schon immer so. In dieser Nacht erkannte ich, wie wichtig es gewesen war, ihr Vertrauen zu gewinnen. Ich dankte mir innerlich selbst, dass ich mich immer um sie gekümmert hatte. Wer weiß, wem sie sich alles anvertraut hätte, wenn ich nicht dagwesen wäre. Furchtbar diese Vorstellung. Furchtbar war auch ihr Traum. Natürlich versteht sie noch nichts und ich bin hin und hergerissen sie einzuweihen. Aber ich kann es nicht. Sie ist noch so jung! Ich halte es für das Beste, ihre Visionen aufzuschreiben. Denn sie sind wichtig. Und mir darf keiner entgehen, wenn ich Emma schützen will. Kein einziger...


Emma's Traum:

Es war wie in einem normalen Traum, nur nicht normal, verstehst du? Ich kann es mir auch nicht erklären, es war so furchtbar. Heute Mittag bei Paps Geburtstag da war doch Onkel Eddie da....und da war es auch schon so komisch. Ich hab kleine Bilder an mir vorbeiflitzen sehn und Eddies Gesicht hat sich verändert. Ich habe ein Mädchen lachen hören und Eddie flüstern. Obwohl sich sein Mund nicht bewegt hat. Ich glaube ihm ist es nicht aufgefallen, aber ich hab Angst bekommen und war froh als er nach Hause gegangen ist. Ich glaube ich bin verrückt... Und als ich heute Abend eingeschlafen war träumte ich erst nichts, doch plötzlich stand ich in einem Raum. Ein Junge, der ein wenig so aussah wie Eddie, aber doch ganz anderst, es kann nicht er gewesen sein, weißt du, stand direkt neben mir. Ich wollte mit ihm reden, aber als auch er redete, redete er nicht mit mir sondern mit dem Mädchen, dass ich am Mittag schon lachen gehört hatte. Sie war sehr schön und ich glaube sie war in den Jungen verliebt. Der Raum war klein und schön eingerichtet. Ein großes Bett, ein Tisch mit zwei Stühlen, auf denen kleine Kerzen brannten und schmutzige Teller standen. Sie hatten wohl schon gegessen. Ich habe mir dabei gar nichts gedacht, irgendwie war ich bloß jemand der zuschaute. Das war komisch und ich schreite die beiden an, sie sollen mir zuhören, aber sie wollten nicht. Ich wollte einen Teller nach ihnen werfen, doch ich konnte ihn nicht nehmen. Plötzlich lief der Junge in den benachbarten Raum und brachte zwei Gläser mit. Ich lief ihm entgegen und wollte das Glas nehmen, doch plötzlich lief er einfach durch mich hindurch. Da wurde mir schlecht und ich habe angefangen zu weinen, weil mich niemand hören wollte. In meinem Rücken hörte ich die Gläser klirren und das Mädchen lachen. Gerade als ich mich umdrehte, fiel das Mädchen hin. Ihre Augen waren rund und sieh sah aus wie tot. Da habe ich angefangen zu schreien und bin aufgewacht. Oh, Bruderherz, es war schlimm und ich weiß nicht mal wieso!

Sonntag, 2. Januar 2011

(7) Eine E-Mail

Von: turbel.sing@yahoo.com
An: Fairytale236@googlemail.com
Betreff: Emma


Hey,

Wie du dir vielleicht denken kannst, bin ich Emmas Bruder. Ich mache mir Sorgen um sie.
Ich weiß dass du ihr Tagebuch hast. Also kannst du das hier auch gut gebrauchen.
Emma ist ein starkes Mädchen, das weiß ich. Und wenn ich etwas weiß, dann kann es nicht anders sein.
Das haben wir zwei so an uns. Uns verbindet so vieles. Und doch weiß ich nicht wo sie ist.
Du kennst sie gut, Vielleicht noch besser als ich. Ich kenne nur ihre Träume. Und du solltest sie lesen.
Vielleicht hilfts....

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(6) Sehen und Hören

"Hunger ist die Triebfeder der Kunst- dieses kleine Mädchen fand ihren Hunger und benutzte ihn"
Stephen King- WAHN



Liebes Tagebuch,

Heute war der Geburtstag von meinem Bruder. Er war sehr schön. Eigentlich. Nein, eigentlich war er gar nicht schön. Mein drittes Auge war wach. Und hat gesehen und gehört. Es ist nicht das gleiche Sehen weißt du... Es ist wie... es ist wie wenn man auf dem Dorf lebt und sich die Ohren reibt und plötzlich hört man Lärm von Autos und man riecht Abgase und sieht blinkende Lichter und alles ist grell und bunt. Es ist falsch, es gehört da nicht hin. Heute ist es mal wieder passiert. Mein Bruder sagt, ich soll ihm erzählen was ich sehe und höre, sonst erzähl ich es Mum und Dad. Sonst erfährt es jemand anderes. Mein Bruder kennt alle Geschichten, die ich gesehen habe. Und immer sieht er mich mit diesen traurigen Augen an. Da kann ich ihm nicht böse sein. Nicht mal wenn er wieder übertreibt und ausflippt. Ich kann ihm vertrauen, dass weiß ich. Und wenn ich etwas weiß, dann kann es nicht anders sein. Aber er hat unrecht. Ich muss ihm nichts erzählen um es bei mir zu behalten, Ich hab ja jetzt dich, das Tagebuch. Ich habe angefangen zu malen. Das hilft mir. Ich komme mir vor wie so ein Typ in der Lieblings-Serie von meinem Bruder. Frintsch. Der hatte Visionen und musste sie aufzeichnen. Aber bei mir scheint es zwar das Gleiche zu sein, ist es aber gar nicht. Ich bin nicht erwachsen und ich MUSS nicht zeichnen. Ich machs nur gern. Und aus vorsicht, es niemand anders zu erzählen. Was nicht heißt ich erzähle meinem Bruder nichts mehr. Sonst ist er noch beunruhigter. Denn ich bin ja ein Frik. Und man hört nicht einfach auf, so etwas zu sein. Vielleicht ist er deshalb traurig, wenn ich ihm erzähle. Weil er einen Frik zur Schwester hat... Manchmal frage ich mich, ob meine Eigenschaft, das dritte Auge, nur bei manchen Menschen funktioniert. In meiner Familie, zum Beispiel, passiert es nur bei Eddie und Oma Anna (obwohl Oma Anna eigentlich gar nicht zur Familie gehört...). Vielleicht auch bei den anderen. Aber es ist selten. Und es passierte erst drei Mal in der Familie. Das erste Mal bei Oma Anna. Das zweite bei Eddie und das dritte.... ist heute passiert. Es macht mir Angst. Manchmal träume ich davon. Das macht mir noch mehr Angst. Wenn ich schreiend aufwache, dann sitzt mein Bruder an meinem Bett und sagt nichts. Er sitzt so lange da bis ich wieder einschlafe und morgens ist er weg. Dann denke ich, auch dies habe ich geträumt. Wenn ich ihn darauf anspreche, dann tut er als wäre er nicht da gewesen. Aber er weiß dass ich wieder etwas gesehen habe. Das Schlimme ist: Ich weiß nicht ob er lügt.

Mittwoch, 29. Dezember 2010

(5) Liebes Tagebuch

Liebes Tagebuch
12.3.2001: Heute war mein 9. Geburtstag. Ich bekam dieses Tagebuch, eine Polly Pocket Spiele-Sammlung, ein Buch und noch vieles mehr. Das Buch hat mir sehr gefallen. Leider ist es schon wieder leer. Mein Bruder sagt, ich bin ein Frik, weil ich keine Fehler beim Schreiben mache. Ich sage er ist dumm. Mir gefällt zwar das Tagebuch, aber ich mag keine pinken Pferde, so wie die auf dem Einband. Musste aber so tun als würde es mir gefallen. Sonst ist Mum traurig. Das Tagebuch ist eigentlich eine sehr gute Idee. Ich denke nämlich zu viel. Hat mein Bruder gesagt. Und komische Sachen. Er sagt das ist nicht normal für mein Alter. Das All interessiert in nicht mal jetzt. Also darf es mich auch nicht interessieren, aber das versteh ich nicht richtig. Meine Freundin Lynn war vorhin da. Sie hat schon einen Laptop. Ich kenne mich mit sowas nicht aus. Sie gibt immer damit an. Mein Lieblings-Onkel war heute auch da. Eddie. Er ist erst 25,aber mein Onkel und er ist lustig, macht mit mir immer Späße und verdreht die Augen wenn die anderen Erwachsenen ihn schimpfen. Und wenn ich traurig bin, dann macht er Grimassen oder erzählt mir schöne Geschichten. Aber manchmal habe ich Angst vor ihm. Denn ich kann in seinen Kopf schaun. Das kann ich nicht immer, aber manchmal funktioniert es. Und dann kann ich nicht mehr aufhören und höre komische Sachen und sehe schreckliche Sachen. Mein Bruder sagt ich denk mir das nur aus und ich spinne und wenn sie das erfahrn, muss ich weg. Aber wo soll ich denn hin? Möchte bei Mum und Paps bleiben. Morgen hat mein Bruder Geburtstag. Dann kommt Eddie wieder. Und ich hoffe mein drittes Auge schläft (so nennt mein Bruder es).

Zwischen den Seiten klemmte ein einzelnes Foto. Ein rothaariger Mann mit Sommersprossen. Das musste Onkel Eddie sein. Auf der Rückseite fand ich Bestätigung mit ein paar hingekritzelten Worten (die ich erst viel später verstehen sollte) der älteren Emma:

Eddie- Meine Zuflucht und Alptraum

Onkel Eddie am 12.3.2001